Jetzt machten wir endlich mal etwas Strecke, immerhin 211km. Nach kurzer Zeit verließ ich meine „Zwischenheimat“ der letzten 10 Monate, den Freistaat Bayern, nach oben und wechselte über die ehemalige innerdeutsche Grenze nach Thüringen. Da wir beide nicht wirklich wussten, wo wir überhaupt hinwollten, bewegten wir uns weiter in der Mitte Deutschlands stückweise nach Norden. Die Entscheidung, wo wir dann nach rechts oder links abbiegen würden, stellten wir noch zurück. Der monatelange Lockdown steckt uns wohl noch in den Knochen, die neugewonnene Freiheit sprengt die Fesseln nicht so, wie wir das gedacht hatten. Ob sich so ähnlich ein Mensch fühlt, der längere Zeit in einem Gefängnis gesessen hat? Sich neu orientieren müssen, gezwungen werden, die Realität mit den Hoffnungen und Wünschen abzugleichen, die monate- oder jahrelang in einer Parallelwelt entstanden und gewachsen sind. Die Irritation zu spüren, wenn sich da eine Kluft auftut, mit der man nicht gerechnet hat. Sich eingestehen zu müssen, dass man nicht einfach eins zu eins dort weitermachen kann, wo man vor langer Zeit aufhören musste, selbstverschuldet oder auch nicht.
Unser Etappenziel war Bad Frankenhausen/Kyffhäuser. Was für ein seltsamer Name!? Gibt es so viele Bad Frankenhausen in Deutschland, dass man einen Zusatz braucht? Mit Schrägstrich? Sehr ungewöhnlich.
Kyffhäuser musste ich erst einmal googeln. Ich erfuhr, dass das Kyffhäusergebirge im südöstlichen Harzvorland das kleinste Mittelgebirge Deutschlands ist. Die höchste Erhebung ist der Kulpenberg mit 473,6m. Der Name Kyffhäuser wird auf das Wort cuffese (=Kuppe/Kopf) zurückgeführt. Historisch existieren auch die Schreibweisen Kiffhäuser und Kyfshäuser. Im lokalen Nordthüringer Dialekt wird er „Kipphiesr“ genannt. Eine weitere Variante der Namensdeutung „Kyff“ ist „Krieg“ oder auch „Streit“, sodass der Kyffhäuser ein Streithaus, eben eine Burg, ist. Die gab es wirklich. Auf einem Bergvorsprung im Nordosten des Kyffhäusergebirges befinden sich die Ruinen der Reichsburg Kyffhausen, die Ende des 19. Jahrhunderts durch das Kyffhäuserdenkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I. ergänzt wurden. Dabei wurde vor allem die Mittelburg zerstört, auf ihrem Platz wurde das Denkmal errichtet. Teile der Ruinen der Ober- und Unterburg dagegen blieben erhalten, ebenso wurde der 176 m tiefe Burgbrunnen wieder restauriert.
(Quelle: Wikipedia)
Wir waren leider nicht dort, haben aber eine andere Sehenswürdigkeit gesucht und gefunden. Bad Frankenhausen rühmt sich damit, einen noch schieferen Turm zu haben als Pisa.
Tatsächlich befindet sich der Turm der Oberkirche (Unser Lieben Frauen am Berge) inzwischen 4,60m außerhalb des Lots. Er hat damit die – in Metern – größte Schieflage aller Türme in Deutschland. In seine Sanierung sind seit der Wende 1,3 Millionen Euro geflossen. Das Dach des Kirchenschiffs wurde mit der Begründung eines Hausschwamm-Befalls 1962 abgetragen, seitdem ist es eine Ruine. Sie wird wohl für verschiedene Veranstaltungen genutzt und soll langfristig wieder aufgebaut werden.
Die Ursache für das drohende Umstürzen des Turmes sind geologische Prozesse über Jahrhunderte, verursacht oder begünstigt durch die 25m unterhalb der im 14. Jahrhundert errichteten Kirche gelegene Elisabeth-Quelle. Man hat wirklich eindrucksvolle und wohl auch funktionierende Sicherungsmaßnahmen errichtet.
Uschi war allein etwas weiter in der Umgebung unterwegs.
Das Städtchen ist sehr überschaubar mit ein paar schön restaurierten Häusern. Ab und zu sieht man aber auch noch Bauruinen, wahrscheinlich aufgrund nicht geregelter Eigentumsrechte. Interessant ist der Unterschied zwischen alt und neu.
Eine Nachbarin auf dem Wohnmobilstellplatz schwärmte von dem Naturschwimmbad ganz in der Nähe. Sie komme extra deswegen jedes Jahr hierhin und gehe jeden Tag baden. Auch für dieses Solebecken ist die Elisabeth-Quelle ausschlaggebend.
Die Sole, deren Natriumchlorid aus dem unterhalb der Leine-Formation lagernden Staßfurt-Steinsalz (Steinsalz der Staßfurt-Formation, „Zechstein 2“) stammt, wurde in Bad Frankenhausen seit der älteren Eisenzeit (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) genutzt. Die sogenannte Schüttschachtquelle, 35 m von der Elisabethquelle entfernt, wurde zunächst zur Salzgewinnung und erst später balneologisch und für Trinkkuren genutzt.
(Quelle: Wikipedia)
Direkt am Stellplatz befindet sich also logischerweise die „Kyffhäuser-Therme“ mit einem 3,5%igen Solegehalt. Also eigentlich natürlich andersherum! Der Stellplatz verfügt zwar nur über 15 Plätze, ist aber sehr schön angelegt und bietet alles, was man als autarker Wohnmobilist braucht. Das Duschen ist in der Therme möglich, aber mit €3,50 für 30 Minuten eindeutig zu teurer. Der Platz kostet €12 plus €2/Person Kurtaxe. Als Gegenleistung hat man nicht nur die üblichen Vergünstigungen der Kurkarte, sondern bekommt auch pro Aufenthaltstag bzw. -nacht 2kWh Strom geschenkt. Da Uschi mir ihren Anteil überließ und ich gut damit auskam (den Kühlschrank betrieb ich natürlich elektrisch), weiß ich nicht, was ein Nachkaufen von Automatenmarken gekostet hätte. Vermutlich aber 50 oder 60 Cent, was den Übernachtungspreis um mindestens einen Euro ermäßigt. Eine nette Geste, finde ich.
Kostenfrei ist auch die Frischwasserentnahme, sehr eigenwillig gestaltet und nicht auf den ersten Blick zu identifizieren!
Passt auf euch auf und bleibt gesund!
written by Ingrid
photos taken with iPhone and Samsung Galaxy S20
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